Samstag, 3. Dezember 2011

Fantasia - Elemente eines Meisterwerks: Die Pause, das Zwischenspiel und die Vorstellung des Tons

Fantasia is timeless. It may run 10, 20 or 30 years. It may run after I'm gone. Fantasia is an idea in itself. I can never build another Fantasia. I can improve. I can elaborate. That's all.“ - „We all make mistakes. Fantasia was one, but it was an honest mistake. I shall now rededicate myself to my old ideals.
- Walt Disney


Ganz im Sinne dieser geradlinigen Beurteilung seines Schöpfers möchte ich in dieser Artikelreihe Im Schatten der Maus Walt Disneys zeitlosen Fehler näher beleuchten:

Fantasia – Die Elemente eines Meisterwerks
Wenn man Fantasia als eine Aneinanderreihung musikalischer Artistenakte interpretiert, so wird der mittlere Teil von einer kleinen, aber liebevoll gestalteten Clownsnummer bestritten. Da die drei Akteure dieses Einschubes oft genug übersehen werden, möchte ich ihnen hier einen eigenen Artikel widmen: Die Pause, das Zwischenspiel und die Vorstellung des Tons

Zu Beginn eine kleine Einführung für alle, an denen die neueste DVD- und Blu-ray-Veröffentlichung von Fantasia unbemerkt vorbeigegangen ist:

Von Fantasia gab es im Laufe der turbulenten Veröffentlichungsgeschichte eine Unzahl verschiedener Schnittfassung, wobei sowohl Bild-, als auch Tonmaterial auf verschiedene Art geschnitten, ausgewechselt oder neu arrangiert wurde. Die heutzutage in Deutschland allgemein Bekannteste davon ist wohl diejenige, die seit 1990 im Umlauf ist und für die Videokassette und die SC-DVD genutzt wurde.
In dieser Fassung sind die einzelnen Segmente bis auf wenige Retuschierungen vollständig enthalten. Nur die ursprünglichen Zwischeneinblendungen von Deems Taylor wurden herausgeschnitten und durch gekürzte Ansagen aus dem Off ersetzt, während denen man die Musiker an ihren Instrumenten sieht. Der Hauptgrund für diese Maßnahme war wohl die Tatsache, dass das Original-Tonmaterial von Taylor verlorengegangen ist.

Dieses Jahr ist nun eine neue Version auch hier auf DVD und Blu-ray erschienen, die sich teilweise erheblich von der alten DVD unterscheidet. Das Ziel dieser Fassung, die die Amerikaner schon länger genießen, war simpel: Fantasia sollte erstmals wieder so gezeigt werden, wie der Film bei seiner Uraufführung im Kino lief. Für diesen Zweck wurden die Videofassungen der originalen Zwischensequenzen wieder eingefügt, der Ton wurde so gut es ging restauriert oder ersetzt und die Pause, die den Film in der ersten Kinoaufführung noch in zwei Teile teilte, wurde wieder eingefügt.

Nach der Pause vertreiben die Musiker sich die Zeit bis zum Eintreffen Stokowskis mit einer kurzen Jam-Session zum Thema von „Mr Bach goes to town“. Danach wird in einer bunten Einführungssequenz der Soundtrack oder zu Deutsch der Ton vorgestellt.
Diese lange Überleitung vor dem nächsten Segment war wohlkalkuliert: Disney wollte auf Zuschauer Rücksicht nehmen, die zu spät aus der Pause kamen und verhindern, dass sie den Beginn des nächsten Segments verpassten.

Die Idee, den Zuschauern den Soundtrack selbst zu präsentieren, kam von Disney persönlich. Ihm schwebte allerdings erst eine realistische Darstellung zu Beginn des Films vor; eine Erklärung und „Demystifizierung“ des Soundtracks und seiner Funktionsweise. Schließlich entschied man sich doch für einen etwas freieren Ansatz und gab dem Ton eine spezifische Persönlichkeit, die besser zum farbigen Charakter von Fantasia passt.
Auf die Bitte des Moderators hin zeigt der Ton sein Können und geht, Instrument für Instrument die Darstellung eines klassischen Orchesters durch. Die perfekt symmetrischen Bilder wurden dadurch erreicht, dass die Animateure nur jeweils eine Seite des Bildes zeichneten und das Ergebnis dann einfach abpausten. Das Ergebnis ist eine Mischung aus dem Aussehen eines echten Soundtrack und dem visualisierten Charakter der verschiedenen Instrumente.

Während mehrere Zeichner für die Instrumente verantwortlich waren, wurde die Animation des Tones selbst - also der hellen, etwas schüchternen Linie - von Effektanimator Joshua Meador übernommen. Es war seine Aufgabe, dem Ton eine spezifische Persönlichkeit zu geben. Bedenkt man, dass es sich im Endeffekt nur um die Bewegung eines Striches handelt, ist das Ergebnis wirklich beeindruckend.
In den Jahren vor der Entstehung von Fantasia hatte sich Oskar Fischinger, der an der Konzeption der Toccata und Fuge maßgeblich beteiligt war, intensiv mit Experimenten zur Darstellung von Klängen und der Beziehung zwischen Ton und Form beschäftigt. Es ist gut möglich, dass seine Arbeit eine zusätzliche Inspirationsquelle für Fantasias „Ton“ darstellte. Allerdings ist bei dem Ergebnis von deutschem Expressionismus nur wenig zu spüren; was bleibt, ist reinster Disney-Zauber.

Bezeichnend für den Disney-spezifischen Charakter der Sequenz ist auch, dass das Konzept oft wiederbenutzt wurde. Am Einprägsamsten geschah dies wohl in „Drei Caballeros“, wo Donald Duck etwas zu neugierig an die Visualisierung der Musik herangeht und schließlich selbst die Rolle des Soundtracks übernehmen muss.

Die Seele von Fantasia ist der gelungene Versuch, Musik in Farben und Formen auf der Leinwand lebendig zu machen. Der Auftritt des Tones selbst und seine einprägsame Darstellung als bildgewordene Musik ist somit repräsentativ für das Konzept des ganzen Films und so stellt die Sequenz auf ihre Art das Herzstück von Fantasia dar.


Diese künstlerische Bearbeitung des Themas „Ton“ ist jedoch nicht das Einzige, was Fantasia zu bieten hat - auch in technischer Sicht war der Film ein Vorreiter auf diesem Gebiet.
Strawinski war neuer Technik gegenüber immer aufgeschlossen, und als Dirigent natürlich speziell an den Möglichkeiten des Tones interessiert. Er war fasziniert vom Prinzip des Multitracks und hatte schon in anderen Projekten versucht, diese Technik einzubringen. Als er Disney das Konzept vorschlug, war dieser von der Idee sofort begeistert, und so wurde Fantasia mit dem speziell entwickelten, neuen „Fantasound“ aufgenommen. Die Orchesterstücke wurden in acht verschiedenen Tracks aufgezeichnet; sechs für die verschiedenen Instrumente, eines als Mischung dieser Tracks und eines für die Aufnahme des Gesamtklangs. Diese wurden für den Fantasound dann abgemischt zu drei Audiotracks und einem vierten Kontroll-Track. Fantasia war der erste kommerzielle Film mit einem Multitrack-Sound-System und damit ein Vorreiter für die Entwicklung des Surround-Sounds.

Diese große Innovation wurde leider praktisch nicht entsprechend gewürdigt. Für die Darstellung des Fantasounds war es für die meisten Kinos nötig, zusätzliche Lautsprecher zu installieren, was pro Kino rund 85.000 Dollar kostete - ein Aufwand, den man sich nur für einen Bruchteil der Kinosäle leisten konnte.
Das Verhältnis von Disneys Vertriebsfirma RKO zu der geplanten Roadshow-Vorführung war gespalten, und da RKO nicht bereit war, die neue Technik selbst zu unterstützen, blieben die Kosten der Aufrüstung an Disney hängen. Daran scheiterte unter anderem auch die frühere Idee Disneys, den Film in Widescreen zu drehen.
Fantasia - und speziell der Soundtrack - kann auf eine aufregende Veröffentlichungsgeschichte der letzten siebzig Jahre zurückblicken.
1940 erlebte der Film seine Uraufführung im Rahmen einer Roadshow, komplett mit Pause und verkauften Programmheften. Dies war die einzige Version, in der die Zuschauer Gelegenheit hatte, den Film zumindest in einigen Kinos in Fantasound zu erleben. Nach Beendigung der Roadshow wurde Fantasia landesweit von RKO vertrieben, wobei die erste Maßnahme war, den Film auf 81 Minuten zu kürzen - ein Großteil der Moderation und die gesamte Toccata und Fuge fielen der Schere zum Opfer - und in Mono-Sound zu veröffentlichen.
In den nächsten Jahren durchlief der Film einige Umgestaltungen in Bild und Ton. Auch wenn die Toccata und Fuge wieder eingefügt wurde, blieben Taylors Überleitungen gekürzt. Nachdem schließlich auch der Versuch überwunden war, Teile des Films in Widescreen zu verzerren, erlebte der Film 1982 seine bislang gravierendste Neugestaltung: Da man den alten Originalton als irreparabel betrachtete, wurde für 1 Millionen Dollar eine digitale Neuaufnahme des Soundtracks unter der Leitung von Irwin Kostal angefertigt. Auch die Szenen von Taylor wurden vollständig geschnitten und durch kürzere Off-Einspielungen von Hugh Douglas ersetzt.
Für seinen 50. Geburtstag 1990 durchlief Fantasia einen aufwändigen, zwei Jahre dauernden Restaurierungsprozess, in dem das Bild des Films zu altem Glanz aufpoliert wurde und - zumindest für Amerika - Taylors Kommentare wieder eingefügt wurden. Da das Audiomaterial der ehemals geschnittenen Zwischenszenen allerdings nicht in annehmbarer Qualität vorhanden war, wurde sämtlicher Text neu eingesprochen. Stokowskis Soundtrack dagegen wurde wiederhergestellt, wobei etwa 3.000 Störgeräusche entfernt wurden, und diesmal waren die vorführenden Kinos verpflichtet, über spezielle Stereo-Sound-Systeme zu verfügen.


Meine persönliche Meinung zu dieser Wiederherstellung des Originalfilmes ist gespalten. Prinzipiell sollte es immer als vorbildlich gelten, wenn der Originalzustand eines Filmes so gut wie möglich wiederhergestellt wird, und in anderen Filmen freue ich mich sehr über vergessene Pausen, die bei der DVD-Verwertung wieder eingefügt werden.
Andererseits gibt es in diesem Fall ja eine spezielle Überleitung für Vorstellungen ohne Pause, die von Walt Disney persönlich autorisiert wurde und somit als genauso „original“ gelten kann. Dazu kommt, dass die eingefügte Szene in diesem Fall keinen Mehrwert bietet - es gibt kein zusätzliches Tonmaterial und so betrachtet man stumm einige Sekunden lang die eingeblendete Titelkarte.
Der andere Zweck der Pause ist es, den Film in zwei Akte zu teilen. Diese Strukturierung ist in der gekürzten Version zwar nicht so deutlich, aber durch das längere Zwischenspiel ist die emotionale Pause, die Disney nach dem Frühlingsopfer wünschte, doch auch ansatzweise gegeben.

Was die Zwischeneinspielungen angeht, so kann Taylors Moderation als gewöhnungsbedürftig bezeichnet werden. Man kann dem armen Mann ansehen, wie nervös er seinen Text aufsagt und wie er krampfhaft versucht, ein wenig Jovialität in den Vortrag zu bringen.
Es läuft sicherlich auf eine Geschmacksfrage hinaus, doch ich persönlich bevorzuge den gesichtslosen Kommentator, der weniger Show-Charakter hat und meiner Meinung nach ein klassischeres Gefühl verströmt.
Was die Kürzungen der Kommentare angeht, so muss ich sagen, dass die Schere bei der Video-Version sinnvoll angesetzt wurde. Taylors Erklärungen sind teilweise extrem ausschweifend und es ist mehr als fraglich, ob man vor den Segmenten den jeweiligen Inhalt wirklich detailliert vorwegnehmen sollte.
Insgesamt kann man guten Gewissens sagen, dass es sich in diesem Fall lohnt, über beide Fassungen des Filmes zu verfügen. Auf jeden Fall ist der Film nun auch für das deutsche Publikum erstmals in einer Version erhältlich, die so nahe an dem Original ist, wie es momentan möglich erscheint. Es bleibt anzumerken, dass die jetzige Fassung nicht perfekt ist - Taylors Originalton gilt als verschollen und die Fassung beinhaltet ein paar berüchtigte andere Schnitte, auf die ich noch zu sprechen kommen werde. Es ist also noch Raum für eine ultimative Version, die man vielleicht in zehn Jahren erhoffen kann.



Mehr von mir gibt es auf www.AnankeRo.com.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Applause Maestro!!!!!

Dr-Lucius hat gesagt…

Was heißt neueste? Ist das die Special-Edition DVD, die gerade für 9,90 € verramscht wird? Bei Amazon steht Erscheinungstermin: 4. November 2010
Produktionsjahr: 2002
Wirklich interessantes Thema und Hintergründe, danke dafür, aber gelegentlich wäre eine Coverabbildung oder ein Link darauf hilfreich, damit man nicht das alte Zeugs erwirbt. Auf der DVD Hülle steht ja, wie üblich bei Disney, nix drauf...

Sir Donnerbold hat gesagt…

@ Dr-Lucius: Verzeih mir bitte die späte Antwort! Ob die "Nur-DVD-Edition" ungeschnitten ist, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen, aber bevor du keine Antwort bekommst, sage ich dir lieber, dass die Blu-ray/DVD-Kombo aus dem Jahr 2010 definitiv die besprochene Version des Films enthält. Auf beiden Medien.

@ meinlebenmitdermaus: Lob ist immer gern gesehen, aber das mit dem MaestrO ist nicht so gaaaanz korrekt. ;-)

Ananke hat gesagt…

Ich bitte um Verzeihung - ich hatte die Kommentare ganz übersehen. Vielen Dank an den Gastgeber, dass er sich darum gekümmert hat!

Kommentar veröffentlichen