Mittwoch, 17. August 2011

I'm still here: Und? Hat sich das alles wirklich gelohnt?


Im Herbst 2008 überraschte der mehrach Oscar-nominierte Joaquin Phoenix die Medienwelt mit der radikalen Ankündigung, mit einem Mal das Schauspieler-Dasein fallen zu lassen. Er habe es satt, die Rolle dessen zu spielen, was alle Welt von ihm erwartet, er wolle stattdessen sein wahres Ich ausleben und eine Karriere als Rapper anstreben. Alsbald wurde bekannt, dass Phoenix' Schwager Casey Affleck eine Dokumentation über diesen beruflichen Neuanfang drehen wird.

Auch wenn der Medienzirkus oberflächlich ist, auf den Kopf gefallen sind dessen Protagonisten nicht. Und so dauerte es nicht lange, bis Medienjournalisten laut die Vermutung anstellten, das ganze sei nur Teil einer Mockumentary im Stile eines Andy Kaufman oder von Sacha Baron Cohens realsatirischen Komödien Borat und Brüno.

Aus der wagen Vermutung wurde alsbald felsenfeste Überzeugung, als Joaquin Phoenix bei einem Clubauftritt von der Bühne stürzte und auffällig gezielt lancierte Gerüchte aufkamen, er habe völlig den Verstand verloren und steige jeder Frau nach, die bei drei nicht auf dem Baum ist. Spätestens, als Phoenix der Webseite Cinema Blend ein recht wohlartikuliertes Interview gab und er wenige Stunden später in der Late-Night-Show mit David Letterman rumhing, als sei er sei Wochen völlig neben der Spur, bestand eigentlich kein Zweifel mehr.

Auch wenn die an I'm still here beteiligten Köpfe bis heute behaupten, sie hätten recht wenig Zweifel an der Authentizität zu hören bekommen, bevor Casey Affleck im Anschluss an den US-Kinostart gegenüber der NY Times die Luftblase platzen ließ, nach dem anfänglichen Schock von Phoenix' Ankündigung glaubten nur die wenigsten an einen Zusammenbruch des Schauspielers. Und genau dadurch gerät ein Projekt wie dieses in arge Bedrängnis. Borat und Brüno nahmen sich vornehmlich "normale" Leute vor. Und selbst da dürfte sicherlich sehr viel unbrauchbares Material entstanden sein, weil immer wieder irgendjemand den Scherz durchschaut haben sollte. Phoenix' Projekt, das sich vor allem die Medien als Ziel vornahm und gigantische Wellen schlug, fällt dadurch in sich zusammen. Casey Affleck sagt zwar, I'm still here sei weder eine Dokumentation, noch ein riesiger Fake, doch er erklärt auch, weshalb Phoenix in der Öffentlichkeit immer "in character" blieb: Ein elementarer Punkt in ihrem Vorhaben war es, die Medienreaktionen auf das Verbrennen dieses Stars einzufangen, was nicht möglich gewesen wäre, hätten alle gewusst, dass Phoenix nur eine Rolle spielt. Tja, lieber Herr Affleck, gewusst haben es vielleicht wenig, aber sie haben es alle zumindest sehr lautstark vermutet.

Wenn ein gigantischer Medienstreich zerplatzt, bieten sich folgende Möglichkeiten für den darauf aufbauenden Film: Man könnte statt einer Mockumentary eine Dokumentation darüber drehen, wie man diesen Medienstreich plante, durchführte und wie er langsam durchschaut wurde. Das wäre die wohl reizvollste und erkenntnisreichste Alternative gewesen. Man hätte auch einen Film im Stile von Borat verwirklichen können, eine feiste Komödie mit Doku- und Mockumentaryelementen, die aber stets darauf basiert, dass der Zuschauer weiß, dass die Hauptfigur nur eine Rolle ist. Stattdessen hielt man jedoch recht stur am eigentlichen Plan fest: I'm still here ist größtenteils so angelegt, dass der Zuschauer gerade den Niedergang einer prominenten Persönlichkeit miterleben darf. Diese (konfusen und langweiligen) Schockszenen schockieren aber nicht, da man zu wissen meint (sah man dem Film zum US-Startwochende) oder sogar wirklich weiß, dass das alles nur Fake ist. Die dazwischen eingestreuten, ganz klar von Sacha Baron Cohen inspirierten Momente, in denen der bärtige Phoenix versucht, sein ahnungsloses Gegenüber in die Pfanne zu hauen, sind etwas besser - doch auch sie erreichen nicht die Klasse eines Borat, da fast durchgehend immer diese überdeutliche Vermutung im Raum liegt, dass das alles nur ein Scherz ist. Mindestens genauso sehr leiden sie darunter, dass Phoenix in dieser "Verarsche-Kunstform" viel weniger Erfahrung hat als sein heimliches Vorbild.

Das beste Beispiel sind zwei der vier einzigen, gelungenen Szenen von I'm still here. Phoenix möchte, dass sein Rapalbum von einem berühmten Produzenten verwirklicht wird, um so größere Chancen auf dem Plattenmarkt zu haben. Nach einigen terminlichen Schwierigkeiten hat er endlich eine "Audienz" bei Puff Daddy... P. Diddy... Sean Combs... ähm, wie auch immer er sich halt gerade nennt. Der Rapper fragt Phoenix, welche Mittel er zur Verfügung hat, um sein Album zu verwirklichen, und dieser sagt, er habe sich ein kleines Tonstudio in seiner Garage zusammengebastelt. Combs traut seinen Ohren nicht und keift Phoenix an, dass man in der Musik genauso wie in Hollywood Kohle braucht, um Erfolg zu haben. Nun spürt man, dass Phoenix gerne aus dem Rapper eine Antwort rausquetschen möchte, welche finanziellen Vorstellungen dieser hat. Doch Combs fragt immer wieder nach, wieviel Geld Phoenix zur Verfügung hat, statt die Fragen klar zu beantworten. Phoenix rutscht daraufhin immer mehr in die Defensive. Aus Combs bekommt er nichts schockierendes, nichts witziges raus - und er selbst sagt auch nichts bemerkenswertes mehr. Exakt das gleiche wiederholt sich, als er Combs letztlich eine Promo-CD vorspielt. Der entgeisterte Blick des Rappers ist noch witzig, doch sobald beide Männer die Münder aufmachen, lässt der Spaß rasant nach.

Das ist der eklatante Unterschied zu Sacha Baron Cohen: Er spielt eine perfekt ausgearbeitete Figur, bleibt ihr durchgehend treu und hält trotzdem ganz heimlich die Zügel in der Hand, wenn er andere Menschen konfrontiert. Der (garantiert äußerst mühevolle) Schnitt erledigt dann den Rest, wählt aus den Unmengen an Material die besten Szenen raus. I'm still here hat einen öfter in die Ecke manövrierten Phoenix und anscheinend fand keinerlei Qualitätskontrolle statt. Und wenn doch, dann will ich die schlechten Szenen gar nicht erst sehen. Und sollten letztlich diese zwei Begegnungen sogar geskriptet sein (wie die amüsante Szene, in der Phoenix Ben Stiller beleidigt), dann gehören die Autoren in einen Nachhilfekurs.

Die letzte der vier guten Szenen ist... der Auftritt von Phoenix bei David Letterman. Wer also I'm still here sehen möchte, muss sich nur vorstellen, wie Sean Combs einen bösen Blick aufsetzt, wie er blöd aus der Wäsche guckt, wie Ben Stiller schockiert in die Kamera starrt und guckt sich noch den Letterman-Auftritt an. Das waren dann amüsante Minuten - und man hat die aggressive Langeweile dieses Streifens vermieden.

Der Schnitt ist einfach katastrophal. I'm still here entwickelt keinerlei roten Faden, sondern ist eine wild durcheinandergewürfelte Aneinanderreihung von Szenen, in denen sich Joaquin Phoenix danebenbenimmt. In der einen Minute beschließt er, mit dem Schauspielern aufzuhören, zehn Minuten später hat er bereits eine eingefahrene Drogenabhängigkeit. Wäre dies eine wahre Dokumentation, wäre sie extrem schlecht, da sie den Absturz nicht nachzeichnen kann. Als Mockumentary schmerzt der fehlende rote Faden, weil so überhaupt keine lohnenswerten Gags vorbereitet werden können. Und Spannung entsteht so noch schneller. Joaquin Phoenix nur rumrüpeln zu sehen, wird nunmal schnell langweilig, wenn sich nie etwas ändert. Doch was viel schlimmeer ist: Die Rumrüpelei ist schon von Beginn an sterbensöde. Vollkommen witzlos hängt er in konfus gefilmten, verwackelten Aufnahmen rum, labert Müll und ist schwer verständlich. Pointen gibt es nicht. Einmal sitzt er vor'm PC, sieht sich Webseiten mit nackten Frauen an und brüllt den Monitor an, wie er es den Schlampen besorgen wird. Das könnte im entsprechenden Kontext vielleicht witzig sein, aber in dieser Durchführung ist es einfach nur nerviges, vulgäres Gehabe. Die von der Kritik viel zitierten "Schockmomente" mit einm rumhurenden Phoenix sind wiederum kaum auszumachen, da man schlichtweg nichts auf der Leinwand erkennen kann.

Viel mehr lässt sich über den Film auch nicht sagen. Es gibt gescheiterte Versuche, Borat nachzuahmen, viel Gebrüll und Gebrummel, Kopfschmerzen erregendes Rumgewackel inkusive konfuser Schnitte und nichts zu Lachen. Und diesem grottenschlechten Teil hat Phoenix einige Monate seines Lebens gewidmet sowie sein Ansehen in der Industrie auf's Spiel gesetzt.

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