Dienstag, 1. September 2009

Neue Regeln für Oscar-Abstimmung in der Kategorie "Bester Film"

Ein wenig dreht sich mein Kopf ja schon, bei all den Neuerungen in der Oscar-Kategorie Bester Film und besonders die neuste Abwandlung im Wahlprozess bereitet mir beim Versuch ihre Bedeutung zu begreifen ein wenig Kopfschmerzen. Doch ich entwickelte beim Nachgrübeln ein warmes Bauchgefühl.
Ja, es scheint mir eine gute Entscheidung zu sein. Selbst wenn mein Verstand meiner Intuition ein wenig hinterherhinkt.

"Worum genau geht es?", fragt ihr euch jetzt sicherlich.
Lasst mich versuchen, es euch zu erklären:

Gestern wurde bekannt gegeben, dass die Abstimmung für den besten Film nicht weiterhin so abläuft wie in allen anderen Kategorien, sondern wie der Nominierungsprozess.

Bislang lief die Wahl des besten Films wie folgt ab: Jedes Mitglied der Academy stimmte für einen der fünf nominierten Filme ab. Der mit den meisten Stimmen gewinnt.
Die Nominierung lief stets so ab, dass jeder Stimmberechtigte fünf Favoriten auf einer Hitliste mit absteigender Wertigkeit platzierte. Dies wird nun auch in der Kategorie Bester Film der Fall sein: Jeder erstellt eine Top-Ten-Liste der Nominierten. Wenn ein Film mehr als 50% der Topplatzierungen innehält, hat er automatisch gewonnen.
Sollte kein Film eine absoulte Stimmenmehrheit haben, wird der Film mit den wenigsten Topplatzierungen eliminiert. Auf den Stimmzetteln, auf denen der eliminierte Film auf der Spitzenposition verweilte, rücken die anderen Filme nach: Platz 2 wird wie Platz 1 behandelt, Platz 3 wie Platz 2, und so weiter.

Dieser Prozess wird so lange wiederholt, bis ein Film die Stimmenmehrheit für sich beansprucht.
Laut Bruce Davis (Executive Director der Academy of Motion Picture Arts & Sciences) wird so garantiert, dass der Film mit einem Oscar ausgezeichnet wird, der "die meiste Unterstützung von der ganzen Mitgliedschaft erhält". Und mir erscheint das logisch. Bislang hätte (rein theoretisch) ein Film, den 40% der Academy herausragend fand, den 60% aber unter den Nominierten am schlechtesten fanden den Oscar mit nach Hause genommen. Jetzt gestaltet sich ein solches Szenario schon schwieriger.

Was hat das nun weitergehend bedeuten? Also, der Schnellschussgedanke meinerseits ist folgender: Es erhöht die Chancen von Filmen, die zwar Auszeichnungen verdient haben, jedoch eher unytpsiche Oscar-Abräumer sind. Animationsfilme, Fantasy, unkonventionelle Dramen oder anspruchsvolle Komödien. Wie ich auf die Idee komme? Die einfache Erklärung ist folgende: Schaut euch doch Mal die Vielfalt bei den Oscar-Nominierungen an! Immer wieder können sich Animationsfilme in die Drehbuchkategorien einschmuggeln, letztes Jahr waren mit Robert Downey jr. für Tropic Thunder und Heath Ledger für The Dark Knight Leistungen aus einer Actionkomödie und einem Comicsuperhelden-Actionthriller in der Kategorie "Bester Nebendarsteller" vertreten... Erwarten uns nach unkonventionellen, verdienten Nominierungen jetzt auch eben solche Oscargewinner?

Ich denke, dass die etwas kompliziertere Erklärung den obigen Kurzschlussgedanken untermauert: Beim bisherigen Abstimmungsprozess waren Academymitglieder gezwungen sich für einen Kandidaten zu entscheiden. Sollte jemand mehrere Favoriten gehabt haben, befanden sie sich in einer Zwickmühle. Viele werden sich da für einen wahrscheinlicheren, konventionelleren Kandidaten entschieden haben und ließen ihren ungewöhnlicheren Kandidaten fallen. Warum? Weil sie lieber dem Nominierten "helfen" wollen, der auch eine scheinbar reelle Siegeschance hat, als die Stimme für einen Außenseiter "wegzuwerfen". Das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung, die fast jeder von sich selbst kennt.



Wenn die Academymitglieder von nun an die Nominierten für den besten Film auf einer Skala von 1 bis 10 einordnen müssen, könnte es sein, dass man sich eher traut seinen ungewöhnlichen Liebling auf den ersten Rang zu setzen. Denn wenn man der einzige ist der das tat, dann wird diese Wahl weggestrichen und der Zweitplatzierte wird gezählt. Und so kann man seinem konventionelleren Favoriten noch immer zum Sieg gegenüber einem ebenfalls konventionellen "Konkurrenten" helfen.
Ähnliches Szenario: Manche werden vielleicht noch immer ein paar "klassische" Oscarfilme auf Rang 1 setzen, aber auf Rang 2 oder 3 platzieren sie ihren heimlichen Liebling (in diesem Jahr etwa Oben oder Inglourious Basterds). Wenn sich die klassischen Stoffe auf Rang 1 ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, und ein paar Leutchen mutigerweise schon auf Rang 1 eine untypische Wahl tätigten, werden auch die Zweitplatzierten berücksichtigt. Und schon könnte sich so ein Film wie Oben mausern und mausern.

Vor allem, wenn man den starken Schauspieler-Überschuss in der Academy bedenkt, könnte sich diese Änderung als fair und weitreichend herausstellen. Filme, die Schauspieler besonders in den Vordergrund stellen, waren aufgrund der zahlreichen abstimmenden Darsteller stets im Vorteil. Ein Film, der die Geschichte oder die Vision des Regisseurs in den Vordergrund stellt, bei dem die Schauspieler einfach nicht so sehr im Rampenlich stehen (The Dark Knight) oder gar ohne Schauspieler vor der Kamera auskommen (Animationsfilme) gerieten dauernd ins Hintertreffen. Jetzt ist ein Szenario denkbar, in dem sich die Stimmen für die nächsten Shakespeare in Love (steinigt mich bitte nicht, doch das ist einer der überbewertesten Oscargewinner überhaupt) und Co. völlig aufteilen, und der "ach, der ist klasse, er muss unbedingt auf die Zwei!"-Kandidat geht gerechterweise mit Gold nach Hause.

Und zum Schluss kommt das Beste über diese Neuregelung: Die meisten Mitglieder der Academy haben bislang nicht den blassesten Schimmer über diese Reform. “Ich kenne Leute, die sich darüber wundern oder sogar deswegen Sorgen machen. Zu irgendeinem Zeitpunkt werden wir Rundbriefe machen, möglicherweise im Herbstquartal, um aufzuklären, was [auf die Mitglieder der Academy] zukommt", erklärt Bruce Davis gegenüber The Wrap die derzeitige Situation.

Damit ist es wohl hochoffiziell: Leserinnen und Leser von Sir Donnerbolds Bagatellen wissen mehr. Herzlichen Glückwunsch. Wenn ihr diesen Artikel gelesen habt, wisst ihr besser über die Oscar-Abstimmung bescheid als die Mitglieder der Acadamy of Motion Picture Arts & Sciences.

Darauf ein Prosit!

Mehr über die nächste Oscar-Saison:

5 Kommentare:

Jaguar D Sauro hat gesagt…

Großartig, einn System von der Academy, welches die Academy selber nicht versteht. Darauf trinken wir einen, Prost!!

Nebenbei, guter Beitrag wie immer...

beetFreeQ hat gesagt…

Ich hab da auch irgendwie noch das Gefühl, dass die das nicht so ganz durchdacht haben, auch wenn ich die Idee an sich gar nicht so falsch finde.

Nehmen wir mal an, es werden von allen Wahlberechtigten nur zwei Filme auf den ersten Platz gewählt. Genau 50% entscheiden sich für Film 1 und 50% für 2. Welcher Film hat dann gewonnen? Werden dann die weiteren Platzierungen der beiden Filme berücksichtigt? Oder ist die Anzahl der Wahlberechtigten eine Primzahl, damit es auf keinen Fall zu einer genau gleichen Anzahl an Stimmen kommen kann?

Besser fände ich ja ganz unabhängig davon eine Lösung, in der die Platzierungen der Top 10 der einzelnen Wählenden jeweils Punkten entsprechen. Also Platz 1 sind 10 Punkte, 2 sind 9 und so weiter. Daraus könnte man dann Charts erstellen, in denen der unter allen beliebteste Film dann auf 1 steht. Aber selbst da wäre es ja möglich, dass mehrere auf 1 landen. Hmm... - gar nicht so einfach...

Naja, wenn das genau so beim Nomnieren schon funktioniert, werden die aber wohl wissen, was sie tun...

PS: Bei dem Captcha komme ich mir grad fast wie eine Mischung aus Ewok und Jawa vor: Tudingi! :D

Sir Donnerbold hat gesagt…

@ Marco: "ein System von der Academy, welches die Academy selber nicht versteht."

Du scheinst was falsch verstanden zu haben - die Academy weiß zum Großteil (bis jetzt) nichtmal vom neuen System. Da kann sie es noch gar nicht falsch verstanden haben.

@beetFreeQ: Also die letzte veröffentlichte Mitgliederzahl (von der ich weiß) war keine Primzahl. 5798 Mitglieder.
Ich denke bei einer exakten 50-50 Verteilung werden die zweiten Plätze ausgewertet. Dann die dritten, die vierten... bis einer der Filme gewinnt.

Könnte natürlich noch immer Gleichstand geben: Gruppe A setzt Film C auf Platz 1 und Film D auf Platz 2. Gruppe B setzt Film D auf Platz 1 und Film C auf Platz 2. Mehr Gruppen existieren nicht.

Dann gewinnen halt zwei Filme. Wäre eine Premiere in dieser Kategorie, aber in anderen Kategorien kam es schon Mal vor.

AlphaOrange hat gesagt…

Ein sehr schönes System. Sogar eines der gerechtesten Wahlsysteme, das es überhaupt gibt.
Und was die Gleichstände angeht: nun, die waren ja auch früher schon möglich.

Luanalara hat gesagt…

Oho, sehr interessant! Dann können wir doch schonmal alle anfangen, Daumen zu drücken für Oben und was vielleicht sonst noch an "untypischen" Oscarfilmen auf uns zukommt! *hoff*

Solange es kein 2. Shakespeare in Love (nette Liebeskomödie, aber Oscars?!) oder Titanic (unterhaltsam, v.a. wenn das Schiff anfängt unterzugehen, aber ansonsten schmalzig ohne Ende) wird... und das neue Verfahren klingt zumindest so, als würde dies unwahrscheinlicher.

(Vielleicht dann endlich mal die verdiente Anerkennung für Depp und Burton? Wer weiß. *g*)

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