Freitag, 8. August 2008

Kaltstart - Nummer Eins

Es soll eine Zeit gegeben haben, in der Fernsehserien mit ihrem Vorspann begannen. So wusste der Zuschauer bei den ersten paar Takten der Titelmelodie, dass er sich nun vor den Fernseher zu setzen hat, da nun "seine" losgeht.

Doch schon seit den 60er Jahren gibt es TV-Serien, die vor der eigentlichen Titelsequenz eine kleine Szene zeigten. So sollten die Einschaltquoten hoch gehalten werden, da die Zuschauer direkt in die Handlung gesogen werden und deshalb eher dran bleiben.
Zum Fernsehstandard wurde diese "Cold Open" genannte Prozedur jedoch erst in den späteren 90er Jahren. Nun verwendeten auch immer mehr Sitcoms, Dramen und auch Trickserien die bislang vornehmlich bei Soaps übliche Erzähltechnik. In jüngster Zeit dehnen sich die Cold Open immer weiter aus, dauern bei Serien wie Lost oder Alias - Die Agentin gerne auch Mal rund zehn Minuten.

Auch wenn einem Cold Open im Fernsehen stärker auffallen, da die später folgende Titelsequenz eine fast schon rituelle "Lücke" im Erzählfluss darstellt, doch auch im Kino sind Cold Open aufzufinden. Manche sind dabei eher selbstverständlich (wie etwa bei Armageddon, wo der Titel erst nach dem Intro des Erzählers folgt) und wirken völlig natürlich, andere zelebrieren sich selbst oder auch die folgende Titeleinblendung oder -sequenz. Es können selbstständige Szenen sein, der eigentlichen Handlung vor oder nach gelagerte Szenen oder auch Teile des ersten Akts (oder auch der komplette erste Akt). In diesen Fällen wird der Titel in der erstbesten dramaturgischen Pause eingeblendet, etwa wenn ein gestresster Großstadtmensch nach einem herben Arbeitstag auf's Land fährt und die Kamera das hübsche Panorama einfängt.

Manche Cold Open sind jedoch so mühsam gestaltet, auffällig und gelungen, dass sie förmlich aus der großen Masse herausstechen. Und meinen elf Lieblingen aus eben dieser Elite möchte ich mich nun etwas ausführlicher widmen. So mancher Leser wird in der kommenden Liste den einen oder anderen Film vermissen oder sich über meine Rangfolge beschweren, doch hey, es sind meine elf liebsten Cold Open. Ich versuche gar keine objektive Liste zu erstellen. Außerdem macht eine Diskussionsgrundlage so eine Hitliste doch erst so richtig interessant.

Also, lasst uns loslegen und ohne weitere Umschweife ins Getümmel stürzen. Hier sind sie, meine

Top 11 Lieblings-"Cold Open"

Platz 11: The Departed (Martin Scorsese)

Martin Scoreses Oscar-Abräumer The Departed beginnt mit einem Einblick in die Vergangenheit von Frank Costello, Jack Nichelsons Charakter und zentraler Punkt des Films. Früh an ein Leben gewöhnt, in dem er seine eigenen Regeln schreibt, wird er zum großen Mafia-Gangster, den die Polizei im restlichen Film endlich stellen möchte. Die nach einiger Zeit folgende Titeleinblendung markiert den Sprung zwischen Franks Vergangenheit zur Gegenwart, in der die Protagonisten (vor allem DiCaprios Polizisten-Charakter) in die Handlung eintreten und den POV (Point of View) übernehmen.

Eine simple, aber smarte Verwendungsweise dieses Kunstgriffes und zudem vom genialen Regisseur sehr gut umgesetzt. Und deshalb mein elfter Platz in der Cold Open-Kinohitliste.

Platz 10: Die James Bond-Filmreihe

In einem Artikel über Cold Open darf natürlich nicht die James Bond-Kinoreihe fehlen, die seit Liebesgrüße aus Moskau die Eröffnungssequenz erst nach einem ausführlichen Prolog präsentiert, in dem entweder die Vorgeschichte von James Bonds Mission oder eine vom Film unabhängige Mission gezeigt werden. So landet der Zuschauer sofort mitten im Geschehen, und hat so einen flotteren Kinobesuch, als wenn direkt zu Beginn die für Bond typische, lange und prunkvolle Titelsequenz erscheint.
Diese profitiert ebenfalls von dieser Vorgehensweise, da der Zuschauer unterbewusst auf sie wartet. Es wird eine Spannung aufgebaut, die das Publikum die Titelsequenz innerlich feiern lässt, sobald diese beginnt.

Platz 9: Lilo & Stitch (Chris Sanders & Dean DeBlois)

Mit Lilo & Stitch feierte Walt Disney Pictures noch einmal einen großen US-Erfolg, bevor traditionell animierte Trickfilme als Kassengift angesehen wurden und die Zeichenstudios Disneys ihre Pforten schlossen.
Die Geschichte über ein zerstörerisches Alien-Genexperiment, dass auf Hawaii landet und von einer kleinen Außenseiterin aufgenommen wird ist zugleich brüllend komisch, anarchisch, flott und herzerwärmend - definitiv eines der besten Disney-Meisterwerke. Außerdem haben wir diesem Film eine meiner liebsten Abspann-Sequenzen zu verdanken (eine Montage über die Ergeinisse nach dem Film zu einer fetzigen Neuinterpretation von Elvis' Burning Love), sondern auch eines meiner liebsten Cold Open.
Bevor der Film nämlich sein Setting auf Hawaii legt, gibt es ein ausführliches Intro im Weltall, wo wir Stitchs Verurteilung verfolgen, ebenso wie seine Flucht in die Freiheit. So spielt Lilo & Stitch mit den Erwartungen der Zuschauer und tritt das Gaspedel richtig durch, bevor wir das einsame Mädchen Lilo kennen lernen und der frechen Komödie ihre emotionale Tiefe verliehen wird.
Im Gegensatz zu vielen anderen Disney-Trickfilmen der Neuzeit werden nach der Titeleinblendung übrigens Credits eingeblendet. Vielleicht um ein gewisses Realfilm-Feeling einzubauen?

Platz 8: Grindhouse (Robert Rodriguez & Quentin Tarantino)

An sich ist dieser Platz in dieser Kategorie eine Klasse für sich, jedoch stellt sich auch die Frage, ob er wirklich als richtiges Cold Open einzuschätzen ist. Denn bevor der Grindhouse-Schriftzug zu lesen ist, erwartet den Zuschauer ein Mordsspaß mit dem Fake-Trailer für Robert Rodriguez' Mexploitation-Kracher Machete. Allerdings ist es nicht wirklich ein Intro, dass vor die Titelsequenz gelegt wurde, sondern Teil der "Sondervorstellung im Schmuddelkino"-Illusion, die der Film Grindhouse erwecken möchte. Deshalb laufen auch nach dem ersten Abspann wieder einige Trailer, und deshalb haben die zwei Filme, die zusammen den Film Grindhouse ergeben kaputtes Bild und schwankende Tonqualität.
Man kann den Faketrailer vor der Grindhouse-Einblendung also als Cold Open einschätzen, genauso gut allerdings auch als Teil der zum Konzept gehörenden eigentlichen Titelsequenz. Oder einfach nur als zuvor noch nie gesehenen filmtechnischen Kunstgriff.
Egal wie man es sieht, es ist ein Heidenspaß - aber da ich mir nicht sicher bin, ob es in diese Kategorie gehört "nur" ein achter Platz. Wollen ja nicht ungerecht gegenüber den "richtigen" Cold Open sein...

Platz 7: Die Schöne & das Biest (Kirk Wise & Gary Trousdale)

Besonders simpel, aber sehr effektiv und atmosphärisch dicht sowie packend umgesetzt ist das Cold Open von Disneys Die Schöne und das Biest, dem Meisterwerk von 1991.
Pittoreske Bilder eines Waldes, mit einem darüber thronenden Schloss, leise baut die Hintergrundmusik Spannung auf, während eine warme Stimme die Geschichte eines eitlen Prinzen erzählt. Wunderschöne Fensterbilder begleiten die Erzählung bildlich und liefern so das nötige Hintergrundwissen über das Biest, dass wir erst einige Zeit später im Film wiedersehen werden.
Durch die Verwendung eines Cold Open wird die Vorgeschichte klar vom eigentlichen Film abgehoben, so dass Belle allein der eigentliche Beginn des Films gehört, das operettenhafte Lied Bonjour, Bonjour eröffnet flott und charmant den Film. Zugleich hat der Zuschauer nun aber das nötige Vorwissen, weiß bereits über das Biest Bescheid und nimmt es anders auf, als wenn er nichts über das Biest wüsste.
Magisch.
Platz 6: Der Glöckner von Notre Dame (Kirk Wise & Gary Trousdale)

Die Regisseure hinter Platz 7 und dem bislang einzigen für den Best-Picture-Oscar nominierten Trickfilm sind auch die Regisseure hinter dem sechsten Platz in dieser kleinen Hitliste.
Nachdem sie mit dem romantischen Musical Die Schöne und das Biest bewiesen, wie sehr sich Zeichentrickfilme auch an Erwachsene richten können, setzten sich die beiden Regisseure an die Adaption von Victor Hugos berühmten Mammut-Roman Der Glöckner von Notre Dame, einem Stoff den man einige Jahre vorher wohl kaum in Disneys Händen gesehen hätte.
Während später im Film die mit kindischem Humor versehenen Wasserspeier das jüngere Publikum an der Stange halten, soll noch vor der Titeleinblendung in eine ganz andere Kerbe geschlagen werden.
Atmospärisch dicht und mit einem bedrohlichen Chor im Hintergrund wird erzählt, wie Frollo Quaimodos Mutter tötete und weshalb Quasimodo im Glockenturm leben muss.
Der Prolog endet mit einer faszinierenden Fahrt durch eben diesen Glockenturm und den ersten etwas helleren (musikalischen) Tönen des Films. Ein wunderbarer Beginn für eines der unterschätztesten Disney-Meisterwerke.

Diese Beispiele sind schon schwer zu toppen, denkt ihr? Tja, bis zum ersten Platz ist es noch ein weiter weg, und der führt uns durch musikalische Welten, eine packende Liebesgeschichte und noch einiges mehr. Meine Top 5 Lieblings-Cold Open gibt es in Kürze hier, im Blog. Bis dann!

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