Freitag, 11. Juli 2008

Hass, Zerstörung und Liebesschmerz - Ein Blick auf das erste Kinohalbjahr 2008

Verloren in der Menge, mitgerissen vom Strom

Auch wenn es mir so vorkommt, als ob das Jahr erst noch richtig loslegen muss, so ist 2008 in Wahrheit bereits sechs Monate alt und somit genauso schnell wieder Geschichte, wie es begonnen hat. Wie kann es passieren, dass meinem Empfinden nach 2008 noch in den Kinderschuhen steckt? Nunja, für mich als Kinoblogger ist vor allem die deutsche Kinolandschaft Schuld. Bis Anfang Mai stammten nahezu alle interessanten Filme aus dem US-Kinojahr 2007 und sind erst in den letzten sechs Monaten nach Deutschland rübergeschwappt. Sehenswerte Produktionen dieses Jahres waren bislang rar gesät.

Allerdings hat diese Verschiebung auch ihr gutes, schließlich haben wir ihr auch einen sehr gelungenen Eintritt ins Kinojahr 2008 zu verdanken. Außerdem tummeln sich dann nicht zu viele geniale Filme in meinem ganz persönlichen Kinojahr 2007, das allein schon wegen Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt, Ratatouille und Prestige verboten gut war. Die Knaller des bisherigen Kinojahrs 2008 auch noch in dieses Jahr zu stopfen hätte die Lücke bis zum Kinosommer möglicherweise zu groß werden lassen. Von daher... ist diese Termingestaltung möglicherweise nur halb so wild.

Jedoch lässt sie den Beginn des Jahres auch recht grimm wirken. Blut, Dreck, Schweiß. Hass, Rache, Mord. Verzweiflung, Menschenverachtung, Liebesschmerz. Die bislang besten Kinofilme des deutschen Kinojahres 2008 zeichneten thematisch nicht gerade hoffnungsvolle Bilder.

Auch Einsamkeit ist keine Flucht

Am offensichtlichsten äußert sich die eher pessimistische und düstere Sicht auf die Menschheit im großen Oscar-Trio, bestehend aus den Miramax- und Paramount Vantage-Produktionen No Country for Old Men und There Will Be Blood und dem düster-blutig-romantischen Tim-Burton-Musical Sweeney Todd. Lebensfreude und Optimismus sind nicht gerade die zentralen Themen dieser Kritikerlieblinge, die viel mehr Anerkennung vom Durchschnittspublikum verdient hätten.

Auch wenn keiner dieser Filme eine misanthropische Botschaft vermittelt, so sind deren Handlung und Atmosphäre für so manchen sicherlich betrüblich oder nachdenklich stimmend. Vorbildliche Helden sind ebenso schwer aufzufinden wie einladende Umgebungen. Die Welt ist laut diesen Filmen entweder kahl, karg, leer und betrüblich oder schwarz-grau, überfüllt und missgünstig.

Gerade solche von Hollywood eher ungewohnten Ansichten sind dem Filmfreund natürlich willkommen, schließlich sorgen sie für Abwechslung in der Filmsammlung, jedoch möchte man sich schon fragen, woher dieser kleine Trend in Hollywood so plötzlich stammt. Denn diese drei Filme sind ja nur die Spitze des blutverschmierten, schwitzenden Eisberges.

Panik. Verzweiflung. Keine Aussicht auf Rettung

Bevor wir uns nun jedoch in Sozialpsychologie verlieren, um zu ergründen, ob dieser Schub an düsteren und pessimistischen Independent- und Quasi-Independent-Filmen daraus resultieren könnte, dass die künstlerisch versierten Filmemacher der Gegenwart den Glauben an das Gute im Menschen verloren haben, sei allerdings noch gesagt, dass solche Trends bei Oscar-Material immer wieder auszumachen sind und sich manchmal auch von Jahr zu Jahr in ihrer Stimmung oder Aussage komplett verändern.

Der Blick auf bemerkenswertere Kinostarts in Deutschland innerhalb der letzten sechs Monate offenbart jedoch zufälligerweise noch weitere eher betrübliche oder wenigstens beklemmende Filme, die meinen eingangs beschriebenen grimmen Eindruck des bisherigen Kinojahres verstärkten.
Darunter auch der für mich seit langer Zeit beste deutschsprachige Film, nämlich Die Welle. Die Rat Pack-Produktion erreicht als Gesamtwerk zwar dank einiger vergnüglicher Sequenzen über den modernen Schul- und Jugendalltag und dem flotten, mehrere Geschmäcker abdeckenden, Soundtrack nicht solch betrüblichen Weihen wie einige aktuelle Oscar-Kandidaten, von einem bedrückenden Blick auf die Gesellschaft kann man Die Welle jedoch nicht freisprechen. Und das sollte man auch keineswegs, denn die in diesem Film gezeichneten Ereignisse basieren auf einer wahren Begebenheit. Wer danach weiterhin denkt, dass Massenmanipulation, Ignoranz und Intoleranz heutzutage nur noch in wenigen sozialen Brennpunkten aufkeimen können, der irrt gewaltig.

Während sich das Unheimliche in Die Welle durch die Masse nährt und die deutsche Produktion mit einem preisverdächtigen Jürgen Vogel in der Hauptrolle auch dem Paradoxum der Vereinsammung in einer dynamischen Gruppe annimmt, nahm sich ein anderes Highlight des bisherigen Kinojahres einer anderen Angst an. Cloverfield verängstigte Anfang des Jahres sein Publikum durch die bloße Andeutung eines Übels, es war das, was man nicht sah, das die Menschen verängstigte. Das bloße Wissen, das ein Unheil geschieht, man jedoch nicht weiß, wohin man fliehen kann und wo die Wurzel allen Übels zu finden ist, die Verlorenheit einer kleinen Gruppe von Freunden in einer zerstörten und teils verlassenen Großstadt hinterließ ein beklemmendes Gefühl, und der gekonnte Einsatz der im kontemporären Actiongenrekino so populären Handkamera trieb das Schaudern noch auf die Spitze.

Liebe kann soooo weh tun

Dank Judd Apatow (und dem deutschen Verleih) ist man nichtmal mehr in Komödien mit "Sex" im Titel sicher: Nie wieder Sex mit der Ex ist zwar sehr charmant und spritzig, lädt jedoch auch besonders stark zum Mitleid mit der Hauptfigur ein und ergründet (mit leicht zwinkerndem Auge) die emotionalen Tiefgründe, die ein Mann mit Charisma und mangelnder Neigung zum Macho-Arschloch durchmacht, wenn er verlassen wird. Somit schließt sich auch der Kreis zu den vorher genannten Oscar-Kandidaten, denn die Hauptfigur des burton'schen Sweeney Todd kam mit ihrem Liebeskummer und dem Gram über die erlebte Ungerechtigkeit so schlecht zurecht, dass letzten Endes nur noch Rache für den Barbier Bedeutung erweisen konnte.

Einzig und allein die Vertreter des Abenteuergenres konnten im vergangenen Halbjahr ohne größere Depressionen die Fackel hochhalten und dem Kinopublikum heimleuchten. Wobei so mancher Zyniker sicher sagen wird, dass der Alterungsprozess von Indiana Jones auch deprimierend wirken kann. Somit wäre Das Vermächtnis des geheimen Buches der "reinste" bemerkenswerte Unterhaltungsfilm des ersten Halbjahres 2008. Und eine innere Stimme sagt mir, dass damit auch nicht gerade viele zufrieden sein werden. Für all diejenigen sei dann Dan - Mitten im Leben empfohlen, der hie und da zwar auch recht melancholisch wird, aber sich letzten Endes doch als Feel-Good-Movie für verregnete Sonntage und als einer der wenigen aktuellen, sehr guten "Männer"-Liebesfilme ohne Judd Apatows Mitwirken beweist.


Nun steht aber das zweite Halbjahr an. Die Geschichte eines versoffenen und grummelnden Superhelden startete ja bereits, auf uns warten jetzt noch Highlights wie das düster-beklemmende Heldenepos The Dark Knight, die Geschichte eines einsamen Müllroboters in Mitten einer unfeinen Zukunftsvision und ein James Bond, der den neu eingeschlagenen, rauen und nachdenklichen Weg weiter ausloten soll.

Nächstes Jahr dürfen wir Deutschen aber dann auch wirklich wieder optimistische Kinohighlights erwarten. Zum Beispiel Disneys animiertes Komödienabenteuer Bolt. An dem Film wird möglicherweise allein die Qualität zum heulen sein.

Und mit diesen Worten sowie einem zwinkernden Auge beende ich meinen Rückblick auf die erste Kinojahreshälfte 2008.
Auf viele weitere schöne Kinobesuche!

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